‚Bin im Wald, komme später’ und damit war alles gesagt. Entgleiste Wildheit, egomanisches sich Gebärden. Verräterisch rieb es sich ab an leeren chauvinistischen Worten wortgewordener Angst. Entlarvte patriarchale Leere anstatt von allen erhoffte Größe echter Männlichkeit.
Eine unbedeutende Kaffeepause endete. Egon B. Ruhmassel joggte seinen Leib zuversichtlich zum Podium, er war dran. Der letzte Redner des Tages. Und irgendwie auch das Letzte, wird sie später finden. Der andere Neue hatte es richtig gut gemacht, wird sie in 32 Minuten denken.
Noch war Ihre Beobachtung dabei den Moment im Zeitraffer vorauszuahnen.
Für einen Mann seiner Statur von mindestens 1.95m, mit extrem breitem Rücken, wirkte er doch recht gedrungen. Er musste einmal Bodybuilding gemacht haben, oder war das natürlich? Wie er sein muskulöses Körpergut trotz allem leichtfüßig beschwingt durch die Stuhlreihen zum Rednerpult bahnt, dabei die Schultern fast provokativ nach vorne neigt, entlockte ihr der Gedanke an das Ebenbild eines Gorillas ein herzhaftes Schmunzeln, das niemand bemerkte. Menschen gleichen wirklich Tieren, dachte sie amüsiert.
Es sollte losgehen. Da stand er. Er wirkte als hätte er Schwung geholt und würde es „noch einmal wissen wollen“ Ende 40. Sein Alter konnte man dem Presseartikel entnehmen der kürzlich im Chemiker Forum erschien. Ist das alt für einen Gorilla? hallte es in ihrer Beobachtungsezession nach, als es für ihn bereits unausweichlich wurde. Jetzt hieß es liefern, den ersten Eindruck machen, der bekanntlich keine zweite Chance erhielt. Die Spannung auf eine interessante Einführungsrede in ihr stieg an. Sie hatte Lust darauf beeindruckt zu werden.
„Mein Kuchenkoma braucht jetzt etwas, dass es aufweckt. Körperlich passt es schon einmal, scherzte die Inhaberin flüsternd mit ihrem Banknachbarn.“ Der Moderator bat um Stille.
Ihre Gedanken schweiften nochmal zur Kaffeepause und sezierten weiter. Während er tief Luft holte, puzzelte sie flüchtig und scharfsinnig jede Wahrnehmung zu einem Persönlichkeitsprofil. Sie erinnerte sich an die etwas übereifrig entgegengestreckte Hand und das kumpelhafte „Ich bin der Egon und wer bist du“, dass er ihr noch vor 15 Minuten entgegen duzte, obwohl sich alle Poren Distanz wünschten, auch die, der am Stehtisch versammelten anderen Kollegen. Sie mochte es nicht sonderlich, wenn man die Etikette völlig ignorierte, zudem er, der Neue und im Club der ranghöchsten Führungskräfte der Organisation noch nicht wissen konnte, wer sie war. Darüber hinaus war es bei Küttenhäuser und Co. KG gänzlich unüblich jeden gleich beim Vornamen anzusprechen. Sie konstatierte ihm, bevor er überhaupt ein offizielles Wort gesprochen hatte, schlechte Vorbereitung und schloss vorerst mit einem sanftmütigen „ITler eben” ihr Puzzlespiel ab.
Der neue CIO atmete aus und richtete die ersten Worte der Antrittsrede an seine Zuhörer. Sein Anzug entspannte sich. Sie war abgelenkt. „Ich begrüße Sie alle, mein Name ist Egon Ruhmassel. Er legte Wert auf die französische Aussprache mit Betonung auf der letzten Silbe. „...wie der Vasall, nur mit ‚e’ beliebte er mit edlen Bezügen die Verbindung zu Schlamassel im Keim zu ersticken. Er tat das seit seiner Kindheit, um die tief verwurzelte schwäbische Bäuerlichkeit aus seinem Familiennamen zu peitschen.
Danke an Sie Frau Prof. Dr. von Küttenhäuser zu Wichtigheim, Herr Dr. Schelmenhorst, sehr verehrte Geschäftsführung, ....
Während seine Begrüßung alle hochrangigen Parteien abklapperte wie eine streunender Hund von Haus zu Haus läuft auf der Suche nach Heimat, wurde er unsicher. Er musste dagegen ankämpfen. Er durfte sie sich nicht anmerken lassen.
Als Berater hatte er nie das eigentliche operative Ergebnis verantwortet. Er hatte 20 Jahre anderen geholfen, gleich einem Dschungelmenschen mit der Machete neue Wege in ihr Firmendickicht zu schlagen, für ihren Erfolg die Bahn frei zu machen und Licht in ihr Verantwortungsdunkel zu bringen. Oft wusste er nicht mehr als sie, wenn er Projekte übernahm und musste sich den Kurs und die Lösungen situativ erarbeiten. In der neuen Rolle wird er kompetent sein müssen, es gab keine Zeit, sich Fachwissen zu erobern.
Sie würden es wittern wie Hyänen auf der Suche nach Aas, um ihn im nächsten Moment zu zerfleischen.
Die Angst wurde größer. Er fühlte sich plötzlich wie eine Maus vor der Schlange, die jeden Moment zubiss. Deshalb wollte er Ruhe bewahren. Er musste mit der Antrittsrede allen den Wind aus den Segeln nehmen, beschloss er doch noch gestern und vorgestern und an all den anderen Tagen an welchen er sich darauf vorbereitete, Eindruck zu schinden. Reden konnte er, eine gute Portion Selbstsicherheit und das Ganze mit einer kreativen Präsentation untermauern, so würde es gelingen, redete er sich tagelang gut zu. Sich gar nicht erst auf die Ebene der anderen stellen und vergleichbar machen, beschwichtigte er seine immer größer werdende Nervosität. Scheitern oder Siegen im Auge des Angesichts. Im Auge wilder Tiere, überall Schlangen, Hyänen... Dabei war er doch selbst ein wildes Tier. Wo war es?
Alle ließen ihn spüren, dass er auf dem Prüfstand stand. Skeptische Blicke nicht nur jetzt, den ganzen Tag schon. Bereits bei der Begrüßung neuer Kollegen, sah er sich mit all den fragenden Aussagen konfrontiert. „Was er sich denn vornehme?“ und dann die etwas unaufrichtig klingenden „Viel Erfolg“ Bekundungen, oft ergänzt mit diesem tröstlichen Schulterklopfer, den man nicht haben will. Sollten sie sein Scheitern vorausahnen.
Er hatte sich doch die Abendstunden um die Ohren geschlagen, verschiedene Präsentationsvarianten immer weiter optimiert. Er spielte sie immer und immer wieder durch, verhaspelte sich zwar manchmal, aber dann saß es und er fühlte sich gut, groß, stark, männlich. Er war siegessicher und würde die Show rocken. Er würde allen zeigen, dass sie mit ihm zu rechnen hätten.
Er sah sich wieder vor dem Spiegel im Hotelzimmer tänzelnd einen großen Schluck von dem bereits halbleeren verdammt teuren Bordeaux nehmen und seine Präsentation üben. Selbstbewusst erhob er das Glas, und prostete seinem Konterfei im Spiegel zu, den Ellbogen dabei bewusst ausladend angehoben, als wolle er sich festlich zeigen, das imaginäre Publikum bereits vor sich. Er feierte seine Überlegenheit. Führte das Glas zum Mund und nahm eine Elvis Pose ein, sein Lieblingssänger. Er zappelte kurz mit den Beinen, als würde er ‚Jail House Rock’ singen. Mit einer Drehung, einem mundverzehrendem „Yeah“ begleitet von einem ausladenden Ausfallschritt, schloss er die Vorbereitung ab. Aber das war gestern.
Der Kollege neben ihr flüsterte nun dem Kollegen links von ihm zu, dass er nicht verstünde, warum seit 10 Jahren bei keinem Firmenbuffet diese typische süße asiatische Chilisauce fehlte. Vorteil sei, dass man damit auch meist total ausgetrocknete Hackfleischklöße hinunterbrächte, er aber der Überzeugung sei, dass der Chinese da die Hand draufhätte.
Sie schüttelte den Kopf und ihre Geste verriet, dass sie ihn für einen einfältigen Idioten hielt, den sie üblicherweise ignorierte, auch in Meetings nahm sie ihn nie ernst. So wie alle anderen, die über seine Kommentare lächelten und ihn immer unterbrachen. Das, mit der chinesischen Sauce war witzig, egal.
Egon war zwischenzeitlich beim Inhalt angelangt und erläuterte lautstark, was er wochenlang plante zum Besten zu geben. Comics und Illustrationen anstatt Graphen und Fakten sollten das Gesagte untermauern. Jegliche Belege blieben aus und seine Bilder irritieren bereits nach 10 Minuten alle Zuhörer. Es ging wohl um die „Digitale Revolution“, aha, aber worum genau blieb völlig unklar. „System Irritation“ mahnte es aus ihrem Kopf, als wolle ihr Gehirn mitteilen, dass er gescheitert sei und der Exodus noch vor dem Start besiegelt. Es half auch nichts, dass er noch lauter sprach den missglückten Auftritt, der keinen roten Faden erkennen ließ und die entarteten Mienen der Zuhörer zu entspannen.
Während das Publikum von 60 leitenden Angestellten Kuchen und Erlebtes verdaute plante er Nähe zum Publikum und trat dabei so nah an das Plenum, dass seine ganze Manneskraft auf Augenhöhe der Inhaberin thronte. Sie ertrug es, wie der Rest des Plenums.
Als er tief einatmete, seine Brust streckte, sich aufrichtete und witzelnd rief: „Ich bin wohl im Wald, ...komme später“.
Die Jagdgöttin
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