Corona betrifft ausnahmslos alle, schränkt uns ein und nimmt in vielen Fällen keine Gefangenen. Was genau aber macht Corona zu einer Chance? Welche Gelegenheiten und positiven Seiten können wir der Situation trotz aller Bedrohlichkeit abgewinnen? Eine Hilfestellung...
Ich beobachte in den aktuellen Debatten über die Tatsache 'Corona' und den Umgang mit dem Virus in Deutschland trotz guter, nach vorne gerichteter, reflektierter Auseinandersetzungen, hauptsächlich Kritik. Egal wie erfolgreich wir mit den bisherigen Maßnahmen waren, egal wie gut wir im internationalen Vergleich durch die vielleicht nur 'erste Welle' gemeinsam gingen, kritisieren wir jede noch so kleine Unzulänglichkeit der unter Unsicherheit getroffenen Entscheidungen. Anstatt Erreichtes gerade jetzt zu würdigen, daraus Kraft zu schöpfen, Verbesserungspotenzial gnadenlos zu artikulieren und tatkräftig anzupacken, lähmen sich viele m.V. in Populismus ertrinkenden Verschwörungstheorien, suchen nach Schuldigen, nicht nach Lösungen. Was sollen unsere Kinder davon halten, dass wir ständig kritisieren, was wir selbst verantworten? Wie sollen sie Mut aufbauen unter Unsicherheit entschieden 'nach vorne zu gehen', wenn wir jede Lernerfahrung als Fehler abstempeln? Wie sollen sie Vertrauen in unser politisches System finden, wenn wir diesem selbst nicht vertrauen und alles benörgeln? Nachfolgend spüre ich meinen Favoriten positiver Seiten des eindrücklichen Virus nach und lade ein mit zu spüren.
Besinnung - "...Ausgangsbeschränkung, Wochenende, Samstag, plötzlich war alles wie gestoppt, ein Hauch von Langsamkeit umgab mich wie eine Prise wohligen Windes. Endlich ohne Reue entschleunigen, dachte ich und war umgeben von Stille! Je weiter ich entschleunigte, desto mehr fühlte es sich an wie Bremsen. Ich bremste und dann saß ich da- war das 'sein'? Wow! Nice! Wann hatte ich das zuletzt, vor allem im Frühling? Im Winter, ok, kann man einen Abend gemütlich zu Hause verbringen, aber jetzt? Jetzt hält mich normaler Weise nichts mehr in meinen vier Wänden. Ohne schlechten Gewissens über vermeintlich verpasste Ablenkungen 'da draussen' in einer Welt voller Möglichkeiten, die niemand braucht, aber jeder will, auch ich, saß ich an einem sonnigen Nachmittag mit meinem Buch (!) von Francois Cheng auf dem Bett. Und las. Es entspannte, auf mich selbst zurückgeworfen zu sein. Während die Enten vor meinem Fenster quakten, die Vögel zwitscherten und um 10:00 Uhr morgens irgendwelche Deutschen Klo Papier kauften (irgendwer musste es ja gekauft haben). Wann hatte ich mir das letzte Mal Zeit für ein Buch und zum Nachdenken genommen? Lange nicht, nur flüchtig nebenbei. Neben der Planung des nächsten Ausfluges, der Planung des nächsten Dinners, der Planung des nächsten Geburtstages, den Gedanken an das nächste Meeting usf. Sich selbst wieder entdecken, dachte ich in mich hinein - wie Speed Dating, nur krasser. Herrlich, ein Treffen mit sich selbst ohne Eile. Ein Inneres sich Sortieren. Gedanken folgen und loslassen. Wohlig kroch ich unter die Decke, blätterte zur nächsten Seite, mehr nicht.
So oder so ähnlich denke ich erging es vielen, die nicht in akuter Sorge um geliebte Menschen sein mussten, von Existenzängsten bedroht waren oder zwischen Home Schooling und Home Office jonglierten. Manche Menschen hatten vielleicht nur Stunden, andere Tage, oder sogar Wochen, falls in Kurzarbeit, mit der Chance zur Besinnung auf das Wesentliche.
Klima - an einem anderen Tag, während der Frühling sich dauerhaft sommerlich zeigt, zeigen Satellitenbilder plötzlich smogfreie Luft über unseren Gigacities und Metropolen. Es ist wirklich warm! Wann hat es das letzte Mal geregnet. Ich bin an das Klima in Italien erinnert. Habe Lust auf einen Latte Macchiato in Perugia. Ich vermisse das Reisen, Krakau fiel ins Corona und mache mir Kaffee, lese Berichte über Deutschlands Ostseeküsten an welchen Robben gesichtet werden, die längst nicht mehr anzutreffen waren. Wer hätte nun erwartet, dass die Erholung so schnell sichtbar wird? Ich nicht. Die Natur scheint sich zu erholen wie eine Raucherlunge, ziemlich schnell, wenn wir unser Verhalten ausreichend massiv ändern. Können wir dauerhaft in großem Stil verzichten? Es wäre eigentlich einfach, aber eben nur eigentlich scheint mir. Scheitert es an einem Wort, am Kosmos "eigentlich"? Haben sie eigentlich Motorradfahren verboten? Eigentlich schon!
Kreativität - Während ich endlich mit großer Freude mein Blogvorhaben plane und zum Start einer Website Bewertungsseiten über wordpress vs. WIX studiere, wir alle bereits über Coronaclips lachen, clicke ich zur Abwechslung auf das stiller gewordene LinkedIn Portal und stoße auf das bewegende Video des Bäckereiinhabers Bosselmann aus Norddeutschland. Wie viele Klein- und Mittelständler stand er vor Liquiditätsengpässen, die wirtschaftlich bedrohlich wurden. Anstatt auszuharren und die Pleite zu riskieren, gewann er durch seinen Aufruf ursprünglich durch Corona verunsicherte und versprengte Käufer zurück. Er ergriff Initiative und zeigte Mut, der andere stärkt, indem er einen neuen, sichtlich für ihn nicht einfachen Weg beschritt.
Ein Restaurant in Süddeutschland platzierte den einen nur für Veranstaltungen genutzten Pizzaverkaufsstand vorm Restaurant und hat nun eine möglicherweise zusätzliche, gut funktionierende alternative Einnahmequelle, über die ohne Corona nie nachgedacht worden wäre.
Und während viele Menschen sich wie z.B. ein Kollege bei der Hopfenernte oder in anderen Ehrenämtern halfen, berichtete eine liebe Freundin in New York darüber wie sie durch Kreativität zu Kreativität fand, indem sie während des Lock Downs ihre Wohnung renovierte und so Extraenergie für die Vollendung ihres lang ersehntes Drehbuch erhielt.
Die Verbundenheit und Kreativität der Tänzer und Musiker berührte mich jedoch erneut am meisten. All dies zeigt, wer bereit ist für Veränderung und handelt, erhöht die Chance gestärkt aus der Krise hervorzugehen.
Digitalisierung - ich erinnere mich gut daran, als ich mich 14 Tage vor dem Lock Down für MS Teams Lizenzen für mein Team einsetzte, um dem Kooperationstool so peu-à-peu zum Durchbruch zu verhelfen. Es drohte zu scheitern. Und plötzlich sorgte die Krise für Home Office und den nötigen Schwung. Jetzt ist MS Teams weltweiter Standard. Digitale Kooperations-Tools, digitaler Unterricht, digitale Erstberatung durch den Arzt und viele bisher zumindest in Deutschland verpasste Möglichkeiten zu digitalen Lösungen, werden nun mit teilweise großem Krafteinsatz und beladen mit Kompromissen (denken sie an die Schulen) aus der Not heraus vorangebracht. Zum Glück gibt es kaum ein zurück und nur ein 'weiter nach vorne'. Ohne das Virus hätten wir in Deutschland noch in 10 Jahren über Home Office debattiert und unser Schulsystem wäre im Internationalen Vergleich noch weiter abgefallen. Dieser Kurs zur Digitalisierung wird anhalten. Wer digital wird, sollte digital verstehen. Gerade wer in Kurzarbeit arbeitet, kann durch den sogenannten Bildungsgutschein der Arbeitsagentur für Arbeit Förderung für spannende Weiterentwicklungsprogramme in den Bereichen Web Development und Data Science erhalten. Ich stieß in meiner Recherche auf das Unternehmen LeWagon, das entsprechend dafür zertifiziert ist.
Demut / Dankbarkeit - In Deutschland sind wir alle sehr privilegiert im Ansteckungsfall als Individuum medizinisch versorgt zu sein oder durch Kurzarbeit Arbeitsplätze sichern zu können. Dass dies nur in wenigen Ländern dieser Erde Standard ist, wird uns allen in dieser Zeit hoffentlich bewusst. Lassen sie es mich mit Humor formulieren: so lange Klopapier eine der großen Sorgen des Landes ist, haben wir keine Probleme. Und manchem steht das lange Haar und die unlackierten kurzen Nägel wirklich besser. Viele von uns sind schlichtweg froh gesund zu sein, die Liebsten endlich wieder zusehen, ein wenig Nähe zu spenden und zu erhalten. Auch die Tatsache am Stück Zeit für sich zu haben, wann hat man das schon? Und für viele geniessen es wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren und sich nach Wochen der Kurzarbeit wieder einbringen zu können.
Humor - heute erzählte mir eine Kollegin von ihrem letzten Arztbesuch. Dort wollte sich eine Patientin im Wartezimmer die Nase putzen, setzte das Taschentuch an und vergass dabei völlig, sich den Mundschutz abzunehmen. Bei allem Ernst, lassen Sie uns den Humor nicht vergessen, er trägt uns in fordernden Zeiten.
Was gewinnen Sie der Corona-Situation Positives (!) ab?
Welche Chancen erkennen Sie?
Die Jagdgöttin
Comments