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AutorenbildDie Jagdgöttin

Das depressive Wochenende

Aktualisiert: 18. Juli 2021

Neulich, an einem eher kühlen Samstag, traf ich vor einem früher vielbesuchten, angesagten Coffee Shop, ein Wochenende. Es stand wie ich an diesem Frühlingstag im März im Freien an die Regenrinne es Cafés gelehnt und trank einen Latte Macchiato - vor sich hin. Sich und seine 48 Stunden in einen gemütlichen blauen Hoodie gehüllt, als sehnte es die blaue Stunde der Dämmerung bereits herbei, zog es die morgendlichen Schultern des Samstages zum Kinn und schien nicht sonderlich gesprächig.

"Köstlich!", rief ich ihm zu. "Es geht wirklich nichts über sehr guten Kaffee. Dafür steht man sich in diesen 'coronalen' Zeiten sogar gerne die Beine bei dieser Kälte in den Bauch, oder?, fragte ich mehr ins Leere."


Es blickte mich ausgeprägt ungläubig an, so, als könne es nicht fassen, dass ich mit ihm sprach. Schließlich hatte es sich sehr angestrengt gerade nicht angesprochen zu werden. Ich tat es doch und auch weiterhin. "Heute keine gute Laune, trotz Kaffee?", fragte ich dann wie einer dieser Supernerds, die es einfach nicht lassen können.


"Ich brauche mal eine Pause von dem Wahnsinn", nuschelte es in seinen blauen baumwollenen Seelsorgejogging-Look. "Eigentlich bin ich ganz froh, aber dann, ich weiß auch nicht", stammelte es weiter, "irgendwie ist alles anders."

Es ist ordentlich verwirrt, dachte ich, nahm einen Schluck des Kaffees und bemerkte, dass ich mir gerade in meiner Lust auf ihn, zu viel auf einmal zumutete und die etwas zu heisse Flüssigkeit erstens den Genuss störte, um dann zweitens vorbei an meiner Irritation mit dem Wunsch schnell den Weg zum Magen zu finden, abgehakt den Schlund hinunterstürzte.


"Seit nun fast einem Jahr geht das jetzt schon so. Anfangs war es nicht weiter schlimm. Aber seit Oktober bin ich total überfordert. Früher hatte ich so viel zu bieten. Wenn ich erschien, ging man aus, machte Ausflüge, ging Tanzen, in die Oper, ins Theater, saß an Flüssen, bevölkerte Plätze. Die Menschen lachten und waren ausgelassen. Man wartete regelrecht auf mich und empfing mich in der Regel mit Freude, zumindest die meisten. Ich verströmte 'Weekend feeling'. Ich war der 'King' der Wochen. Und jetzt sitzen sie alle zu Hause. Ich bin wie alle anderen. Langweilig, träge, mein Glanz fehlt."

"Ja, aber es ist ja auch noch fast Winter," erwiderte ich etwas hilflos defibrilatorisch sein Lamento, um im ersten Schritt die Wiederbelebung seiner Stimmung einzuleiten und mir dadurch Zeit für einen klaren Gedanken zu verschaffen. Da war er: "Siehst du denn nicht, dass du nichts an Schönheit eingebüsst hast? Du zeigst dich nur von einer anderen Seite. Gib den Menschen Zeit das zu verstehen. Den Raum, den du ihnen gibst neu zu definieren."


"Machst Du Witze? Dann müssen sie sich beeilen. Lange ertrage ich es nicht mehr, dass sie mir ihre Angst und ihren Frust in die Stunden schieben. Selbst im Freien giften sie sich an, anstatt die Ruhe und den Raum zu genießen, den sie seit Jahren herbei jammerten. Ach, hätte ich nur Zeit, ach, wenn ich einmal Zeit fände ...nun da sie vorhanden ist, bejammern sie sie wieder. Das zieht mich total runter", sprudelte es aus ihm heraus. "Gut, es gibt diejenigen die ihre Wohnungen auf Vordermann bringen oder fröhlich ihre obligatorische Parkrunde im Freien drehen, um dann direkt zu Hause mit der XXL Packung kulinarischer Ablenkung zu netflixen. Immerhin! Schwarmintelligenz habe ich mir noch kreativer vorgestellt, aber sie scheinen darüber sehr glücklich. Ich gebe zu es gibt Ausnahmen. Aber die Masse motzt und raubt mir meine Nerven. Und ich spreche nicht von Menschen mit existenziellen Nöten. Sie sind viel zu beschäftigt um zu jammern. Sie haben einfach Angst und davon viel. Es sind die, die nichts mit sich anzufangen wissen. Dabei mögen sich die meisten nur selbst nicht, geschweige denn, dass sie wüssten wer in ihrer Haut steckt. "Hmm hmm, ja, interessant", fügte ich kurz ein, um dem Dialog feinfühlig zuzuzwinkern, er würde nicht arbeitslos.


Schluck Kaffee, noch einer. Es, ich, es, ich, wir beide schütteten währenddessen jede Menge Schlucke Kaffee in uns. Jetzt waren die Pfandbecher leer, seine Redelust allerdings groß. "...schon einmal den Aerosoltanz der Jogger und Fußgänger beobachtet?", provozierte es mich und 'fadete' den Klang seiner Worte wieder in mein Aufnahmezentrum, als hätte eine DJ den perfekten Übergang versaut und den vorangegangenen Song einfach ausblenden müssen, um neu durchzustarten. "Aber die Schlimmsten sind die Mütter, die ihre Kinderwägen wie Waffen vor sich herschieben, als würden sie gleich rufen "alle Mann auf Kommando herhören, ich gehe hier...heute frustriert über irgendeine Option, die mir entgeht, da ich mich dafür entschieden habe und wo ihr geht ist mir ein Rätsel, aber jedenfalls nicht hier. Ich habe hier gerade meinen erfolgreichen Nachkommen dabei. Er weiss davon noch nichts, aber hier hindert mich keiner daran MIR MEINEN Weg zu bahnen."


"Ich muss diese Fülle an Negativität ertragen und fühle mich ihr so machtlos ausgeliefert, da ich daran nichts ändern kann, dass alle nach wie vor von mir Erholung, Ablenkung und Konsum fordern, ihr Glück abschieben an das Universum, als wären sie ihrer Windel noch nicht entwachsen. Ich kann diesem Anspruch nicht gerecht werden. Ich fühle mich unter Druck gesetzt. Ich will mich verstecken bis es vorbei ist und dort heulen. Damit erschöpfte sich sein Wortsturm abrupt und endete mit "Ich bin so wütend und wirklich schlecht drauf" in einer letzten auflehnenden Böe. Er wollte vom Kaffee einen tiefen tröstenden Schluck nehmen, doch der Becher war längst leer. Ich rahmte den Dialog mit einem "ach...", als es mich widerspenstig unterbrach:


"Wenn das so weitergeht, bekomme ich noch eine Depression und springe vom nächsten Brückentag."

Ich gebe zu ich musste lachen, verkniff es mir angestrengt und ergoß meine eigene Anspannung in eine sorgenvolle Frage zu entladen: "Du wirkst wirklich bedrückt, hast du jemanden zum Reden?" Bevor es ohne darauf einzugehen erst richtig loslegte, immer noch ohne Kaffee, der wärmend seine beruhigende und erquickende Wirkung hätte entfalten können.


"Manchmal kommt Donnerstag vorbei und hört sich meine Jammerei an. Mit Montag spreche ich nicht mehr, da er mir die ganze Schuld zuschiebt, dass ihn alle Menschen so schlecht gelaunt starten. Der Dienstag ist der beste Kumpel vom Montag. Dem ist nichts hinzuzufügen, er ist parteiisch. Mittwoch hält sich aus allem raus. Und Freitag, kann nicht zuhören, redet immer nur von sich selbst und reicht die Probleme einfach an mich weiter. Ergo, Donnerstag ist eigentlich mein bester Buddy. Er zeigt auch Verständnis und hört zu, stellt Fragen und sagt nicht ständig "das wird schon wieder" wie Freitag, dem ich sowieso egal bin."


"Ich finde Dich ziemlich beeindruckend und ich genieße Dich sehr, du strahlst neuerdings diese Ruhe aus, die sich bereits mit Freitagabend einstellt. Die früher so quälende Vielfalt an Möglichkeiten, welche ausgeschöpft werden wollte und keine Ausreden zuzulassen schien, ist plötzlich nicht mehr so erdrückend. Man wählt zwischen Zeit mit sich alleine und wenigen ausgewählten Menschen und verlesenen Aktivitäten in einem beschränkten geografischen Radius. Ich empfinde das als sehr angenehm und heilsam. Als würde das Blut langsamer durch den Körper strömen dürfen und meine Venen schonen. Hat Raum und Zeit in sich zu kehren und das Wesentliche zu entdecken. Das Leben zu spüren.


"Willst du noch einen Kaffee?", fragte das Wochenende. "Warum nicht, stimmte ich in den Moment ein. "Ich habe noch nichts vor."


Die Jagdgöttin

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