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AutorenbildDie Jagdgöttin

Die unerträgliche Banalität eines Abschiedes

Aktualisiert: 3. Dez. 2020

Unser Protokoll des Tages hatte die Agenda der Abläufe längst eingespielt: Ein Abschied unter Freunden bis zum nächsten Wiedersehen. Wir taten so als wüßten wir, was gewünscht war. Umarmung, Lachen, alles Gute Wünschen, schön finden, dass man sich gesehen hatte, Grüße ausrichten, zwei drei Erinnerungen der gemeinsam Zeit zitieren, in Erinnerung daran lachen, sich nochmal drücken, lachen, tschüss sagen, nochmals alles Gute wünschen und sich gemeinsam auf das geplante Wiedersehen im nächsten Jahr be- und sich Pläne dafür zurufen. "Wir gehen wieder Roller fahren, oder? - Thaaa, count me in, check! Dann Banh Mi Ga essen? Espresso hier, Kunst dort, oh ja und lass uns wieder in die Berge fahren und dort irgendwo Gulaschsuppe essen, check!...".



Ich umarmte dich und konnte es nicht verhindern. Ich wollte es weder denken, noch viel weniger wollte ich es spüren. Untrüglich streifte unsere Endlichkeit meine Gedanken und drängte mir die Frage auf wie oft ich dich noch sähe, wie oft ich Dich noch umarmen könne. Ich hatte Angst und versuchte Dich zum Abschied ein klein wenig intensiver zu drücken, etwas länger zu halten, nur so viel, dass Du es noch gut vertrugst. Das hieß gerade so viel, dass keine Schwermut aufkam. Du konntest dem Gefühl der Schwermütigkeit nichts abgewinnen und hieltest dem Leben 'ladylike' selbst in schwierigen Phasen menschliche Größe, intelligenten Witz und jede Menge guter Geschichten gegen Trübsal und schlechte Laune entgegen. Schmerz, Traurigkeit und Leid waren sehr intime Dinge für Dich. Ich wollte meine Angst vor Dir verstecken. Zudem gäbe es keinen Anlass, erklärte mein Verstand schließlich meiner Intuition rechthaberisch, wies sie zurecht artig leise zu sein. Während sie weiter heimlich versuchte jedes Detail haarscharf zu erfassen, beobachtete mein Verstand Dich und Dein Tun benommen bis du hinter der Sicherheitskontrolle verschwandest.


Ich sah dich erst den schweren Rucksack auf das Band legen, dann den dunkelblauen Mantel, die Kamera. Da warst Du, Dein vom Yoga gestählter Körper, auch wenn er in den letzten Monaten ziemlich an Gewicht verloren hatte, Deiner Anmut tat es keinen Abbruch. Du in Deinen Lieblingsfarben wartetest, um in der Reihe von Menschen, die wir nicht kannten, aufzurücken. Während andere Menschen weiter ans Gate strömten, erheischte mich wieder ein kurzer Anflug von Panik Dich zu verlieren und ich versteckte sie in meiner rechten Hand, die immer heftiger winkte. Ich warf Dir mein breitestes, optimistischstes Lachen entgegen, schließlich war es wie immer, wenn Du wieder nach Boston oder New York flogst. Aber mein Mund war breiter und steifer, meine Hand bewegte sich verkrampfter und nachdrücklicher als üblich. Als müsste ich das Tagesprotokoll heimlich ändern und etwas sollte sich zur Sicherheit der Situation angemessen materialisieren. Aber dies war nicht vorgesehen und so blieb alles Gefühl im Sein und seinen Abläufen stecken wie ein Wurfgeschoss, dass nicht explodierte. Ich ergoss mich anstelle dessen still in Freude über ein baldiges Wiedersehen, klammerte mich daran, als müsste ich es fest halten. Ich winkte wieder, Du zurück.


Du blicktest Dich ein letztes Mal um und machtest humorige Gesten. Offensichtlich amüsierte Dich die überdimensionierte Spezialkontrolle des übergroßen Angestellten an der Sicherheitskontrolle. Ich hörte Dich bereits einen Witz darüber machen, dass dies bestimmt sei, weil Du Amerikanerin bist und das die Retourkutsche für 'Trump' sei. Du lachtest, gingst weiter, Menschen hinter Dir waren unruhig, wollten schneller voran, Menschen vor Dir nahmen ihren Besitz bereits vom Band. Jemand wartete auf seinen Gürtel. Eine Frau humpelte sich genervt in ihren Schuh. Du folgtest nach, tatest es ihnen gleich. Nahmst den Mantel, schlüpftest hinein. Du holtest deine langen Haare mit beiden Händen aus der Kragenschlucht. Dann schwangst Du den Rucksack auf den schmalen Rücken, nahmst die Kamera.


Schritt für Schritt tratest Du Deine Reise an. Die Momente abwickeln, die Minuten verbringen, das Lachen lachen, den Kopf heben und senken, Schritt, Schritt, Schritt, das denken, das schmecken, dies riechen, so fühlen, das sehen, die erblicken, das fassen... wie an jedem anderen Tag, folgten wir dem Protokoll sich ergebender Ereignisse.


Eine unerträgliche Banalität des Augenblickes, hüllte die Minuten in Leichtigkeit und machte das eigentliche Protokoll für uns erträglich.


Die Jagdgöttin

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